Parteigutachten als Beweismittel
Bei Baumängeln wird häufig ein Experte beigezogen, welcher seine Erkenntnisse in Form eines Gutachtens abliefert. Dabei muss sogfältig überlegt werden, welcher Beweiswert dem Gutachten zukommen soll. Es existieren drei verschiedene Formen von Gutachten, welche sich in ihrem Beweiswert grundlegend unterscheiden.
Arten von Gutachten
Gerichtsgutachten werden auf Antrag einer Partei oder von Amtes wegen vom Gericht erhoben. Auftraggeber des Gutachtens sind nicht die Parteien, sondern das Gericht. Schiedsgutachten werden von den Streitparteien vereinbart. Die Vereinbarung muss schriftlich erfolgen. Aus der schriftlichen Vereinbarung muss hervorgehen, dass ein Gutachten eingeholt werden soll und dass dieses Gutachten verbindlich gelten soll. Parteigutachten sind schliesslich alle Gutachten, welche nicht als Schiedsgutachten oder Gerichtsgutachten gelten.
Beweiswert von Gutachten
Als Gutachten im Sinne der Zivilprozessordnung gelten nur Gerichtsgutachten und Schiedsgutachten. Das Gerichtsgutachten unterliegt dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wonach das Gericht nach freiem Ermessen beurteilt, ob der Beweis für eine Tatsache mit dem Gerichtsgutachten erbracht ist. Das Schiedsgutachten ist für das Gericht bindend. Die im Schiedsgutachten festgestellten Tatsachen dürfen vom Gericht nicht überprüft oder abweichend gewürdigt werden. Damit hat das Schiedsgutachten einen höheren Beweiswert als das Gerichtsgutachten.
Beweiswert von Parteigutachten
Das Handelsgericht des Kantons Zürich hatte sich unlängst in einem Urteil zum Beweiswert von Parteigutachten zu äussern (Urteil HG170120 vom 14. Februar 2022).
Parteigutachten gelten im Zivilprozess nicht als Beweismittel, sondern als blosse Parteibehauptungen. Keine Rolle spielt dabei, ob das Gutachten von den Parteien gemeinsam in Auftrag gegeben wurde und die Unabhängigkeit des Experten gewährleistet war. Beweiskraft erlangt ein von den Parteien in Auftrag gegebenes Gutachten erst, wenn es als Schiedsgutachten vereinbart wurde. Ein Parteigutachten ermöglicht höchstens eine besonders detaillierte Begründung, welche einer entsprechend detaillierten Bestreitung bedarf. Ist eine hinreichend detaillierte Bestreitung allerdings erfolgt, kann das Parteigutachten nicht als Beweismittel gelten. Der Beweis muss folglich mit anderen Beweismitteln geführt werden.
Im genannten Verfahren hatte die Klägerin das Parteigutachten zusätzlich als Urkundenbeweis eingereicht. Als Urkunden gelten Dokumente wie Schriftstücke, Zeichnungen, Pläne und dergleichen, was auf ein schriftlich abgefasstes Parteigutachten durchaus zutreffen würde. Mit Ausnahme der öffentlichen Register und Urkunden vermag eine Urkunde jedoch keinen Beweis für die Richtigkeit ihres Inhalts zu erbringen. Entsprechend kann mit einem Parteigutachten als Urkunde nur bewiesen werden, was der Experte festgehalten hat. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Feststellungen und Würdigungen lässt sich damit jedoch nicht erbringen.
Schliesslich hat die Klägerin die Befragung des Parteigutachters als sachverständigen Zeugen beantragt. Zeugen können jedoch nur über die eigenen unmittelbaren Wahrnehmungen befragt werden. Von einem sachverständigen Zeugen können nebst Fragen zu den eigenen unmittelbaren Wahrnehmungen zwar auch solche zur Würdigung des Sachverhalts gestellt werden. Diese Möglichkeit muss allerdings auf einfache und wenig komplexe Fälle beschränkt bleiben. Die Würdigung von komplexen Sachverhalten bleibt hingegen dem Gerichts- oder Schiedsgutachter vorbehalten.
Fazit
Das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich hat in Erinnerung gerufen und verdeutlicht, dass aus einem Parteigutachten unter Drehen und Wenden kein Beweismittel wird. Ein Parteigutachten kann wichtige Erkenntnisse liefern, welche für die Beurteilung einer Forderung und zur Begründung einer Klage erforderlich sind. Für die Beweisführung im Prozess führt jedoch kein Weg an einem Gerichts- oder einem Schiedsgutachten vorbei. Statistisch führt das Handelsgericht des Kantons Zürich in Bausachen kaum je ein Beweisverfahren durch. Die beweisbelastete Partei ist deshalb gut beraten, sämtliche Beweismittel bereits vor Einreichung der Klage zu besorgen. Gerichtsgutachten können etwa im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung eingeholt werden.